Auf unsere Erinnerungen können wir uns verlassen – zumindest denken wir das. Nicht immer ist aber das, was wir zu erinnern glauben, auch wirklich genau so geschehen. Das betrifft das individuelle Gedächtnis ebenso wie die kollektive Erinnerung. Kommt es bei letzterer zu Irrglauben und fehlerhaften Annahmen, spricht man vom sogenannten Mandela-Effekt – aber was ist das eigentlich genau?
Nelson Mandela als Namensgeber für den Mandela-Effekt
Der Begriff lässt es bereits vermuten: Der Mandela-Effekt leitet sich vom ehemaligen südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela ab – oder genauer, von der allgemeinen Annahme, der einflussreiche Politiker sei in den 1980er Jahren während seiner Zeit in Gefangenschaft gestorben. Viele Menschen weltweit erinnern sich an die Schlagzeilen, die über den Tod Mandelas berichten. Das heißt, sie glauben, sich daran zu erinnern, denn diese Schlagzeilen hat es nie gegeben, ebenso wenig wie den frühen Tod des afrikanischen Politikers.

Alessia Pierdomenico/shutterstock.com
Tatsächlich erfreute Mandela sich auch nach seiner Haftentlassung im Jahr 1990 bester Gesundheit, bis er 2013 im Kreise seiner Familie starb. Er hat also noch mehr als 20 Jahre lang gelebt, nachdem er quasi von der Allgemeinheit tot geglaubt worden war. Eine falsche kollektive Erinnerung wie diese nennt man aus diesem Grund den Mandela-Effekt. Bei diesem Phänomen schwört ein Großteil der Menschen darauf, sich auf eine bestimmte Weise an etwas zu erinnern, obwohl dies nachweislich nicht der Wahrheit entspricht. Das bedeutet aber keinesfalls, dass diese Menschen lügen. Im Gegenteil; sie sind überzeugt davon, dass es sich genau so und nicht anders zugetragen hat.
Welche Beispiele gibt es für den Mandela-Effekt?
In den vergangenen Jahrzehnten traten immer wieder Ausprägungen des Mandela-Effekts auf, die sich nicht nur auf angeblich bereits verstorbene Prominente beziehen. Häufig findet sich das Phänomen auch in der Kunst und Unterhaltung. So sind zum Beispiel viele Musikfans der Meinung, die bekannte Hymne „We are the champions“ der Rockband Queen ende mit „…of the world“. Dem ist aber nicht so: In der ursprünglichen Version war die letzte Zeile des Songs einfach „we are the champions“. Schnell waren Fans aber der Meinung, „…of the world“ sei die letzte Zeile, und Freddie Mercury übernahm diese auf Konzerten mit der Zeit und sang sie gemeinsam mit dem Publikum. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Zeile im Original nicht an dieser Stelle vorhanden war, auch wenn nach wie vor viele Fans darauf schwören, es sei so gewesen.

vasek.x1/shutterstock.com
Ebenfalls sehr bekannt als Beispiel für den Mandela-Effekt ist das international beliebte Brettspiel Monopoly. Auf dem Karton ist, wie alle Spielfreunde wissen, ein elegant gekleideter Herr mit einem Zylinder, einem Schnurrbart und einem Monokel abgebildet. Das glauben zumindest die meisten Leute. Tatsächlich gibt es das Monokel aber nicht. Wissenschaftler gehen davon aus, dass das klassische und elegante Outfit des Monopoly-Herren im Gehirn mit Aristokratie assoziiert wird, und dazu gehört für viele anscheinend auch ein Monokel.
Wie kommt es zu diesem kollektiven Phänomen?
Wer zum ersten Mal vom Mandela-Effekt hört, denkt vielleicht, dass es so etwas gar nicht geben kann. Wie soll es möglich sein, dass sich Tausende oder sogar Millionen von Menschen allesamt falsch an etwas erinnern? Dass das Phänomen existiert, steht längst außer Frage. Warum es aber zu einer kollektiven Fehlerinnerung kommt, ist nach wie vor noch nicht vollständig erforscht. Man könnte auch sagen, die Wissenschaft tappt diesbezüglich noch mehr oder weniger im Dunkeln.
Verschwörungstheorien, die sich etwa auf eine Manipulation des Gehirns von Seiten der Regierungsmächte beziehen, entbehren natürlich jeglicher Grundlage. Auch die Vermutung, der Mandela-Effekt könne mit der Existenz von Paralleluniversen zu tun haben, kann nicht nachweisen werden. Die Tatsache, dass der Mandela-Effekt aktuell nicht erklärt werden kann, sorgt dafür, dass sich mehrere wissenschaftliche Studien mit diesem überaus interessanten Thema befassen.

Anucha Tiemsom/shutterstock.com
Die Untersuchung des visuellen Mandela-Effekts
An der Universität Chicago untersuchten etwa Deepasri Prasad und Wilma Bainbridge den sogenannten visuellen Mandela-Effekt, um zu erforschen, wie realitätsnah die Erinnerung der Menschen in der Praxis ausfällt. Zu diesem Zweck zeigten sie zahlreichen Probanden Fotos von der Originalversion eines Charakters aus der Popkultur oder eines Logos sowie auch eine durch den Mandela-Effekt veränderte Fassung. Ein Beispiel dafür ist zum Beispiel ist das Logo des Fahrzeugherstellers VW und dessen bekanntes „VW“-Logo. Die Probanden sollten es sich ansehen und danach sagen, ob sich zwischen den Buchstaben ein Leerzeichen befindet oder nicht.
Die Studie zeigt eindeutig, dass sich nur die wenigsten Menschen ein Bild oder Logo korrekt einprägen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Original bereits vor längerer Zeit oder erst gerade eben betrachtet wurde. In der Erinnerung kommt es regelmäßig zu mehr oder weniger starken Abweichungen. Warum dies jedoch so ist, ist auch der Wissenschaft ein Rätsel. Die Ursache liegt wohl in der Beschaffenheit des menschlichen Gehirns, das keiner Computerfestplatte ähnelt, sondern Erinnerungen immer durch den individuellen Filter der jeweiligen Person laufen lässt. Wir speichern Bilder, Eindrücke und Erinnerungen also nicht so ab, wie sie wirklich sind, sondern wie wir sie wahrnehmen – oder glauben, sie wahrzunehmen.

illustrissima/shutterstock.com
Eine Rolle spielen in diesem Zusammenhang auch die Erwartungen, die wir an bestimmte visuelle Schemata haben. Auch wenn das Auge das korrekte Bild sieht, kommt es im Gehirn anders an beziehungsweise wird dort so verarbeitet, dass es den eigenen Erwartungen entspricht. Da Menschen sich trotz aller Unterschiede stark ähneln, ist es kein Wunder, dass die Eindrücke auch kollektiv inkorrekt verarbeitet und erinnert werden können. Dazu kommt die Tatsache, dass wir uns unbewusst häufig der Mehrheit anschließen: Je öfter wir also eine eigentlich falsche Erinnerung lesen oder hören, umso überzeugter sind wir, dass diese der Wahrheit entspricht. Schließlich können sich so viele Menschen doch nicht irren!
Fazit: Es bleibt noch einiges zu kären
Dass es den Mandela-Effekt gibt, ist unumstritten. Er ist längst zu einem Internetphänomen geworden: Online teilen Nutzer ihre Erinnerungen und diskutieren darüber, ob diese wirklich den Tatsachen entsprechen und welche Gründe es für die kollektiven Fehlerinnerungen geben könnte. Auch wenn der Mandela-Effekt bereits von vielen Wissenschaftlern untersucht wurde, kann er nach wie vor nicht eindeutig erklärt werden. Bislang bleibt es bei Theorien und Annahmen. Was genau im Gehirn passiert, wenn der Mandela-Effekt eintritt, weiß also noch niemand. Ob er jemals vollständig erforscht werden kann, bleibt zu diesem Zeitpunkt ungewiss.