Ein Betriebsverhältnis ist in das Grundgesetz eingebettet. Probleme entstehen, wenn arbeitsrechtliche Bestimmungen mit Grundrechten kollidieren. Die Verfassungsbeschwerde stellt in solchen Fällen ein selten genutztes Mittel dar, um verfassungsrechtliche Ansprüche auch gegen staatliche oder gerichtliche Entscheidungen geltend zu machen. Hierbei unterstützen spezialisierte Kanzleien mit rechtlicher Expertise. Das Bundesverfassungsgericht prüft jedoch nur eng umrissene Sachverhalte.
Wie funktioniert die Verfassungsbeschwerde?
Eine Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine behauptete Verletzung von Grundrechten durch staatliches Handeln oder gerichtliche Urteile. Zuständig ist ausschließlich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Voraussetzung für die Zulässigkeit ist, dass alle anderen gerichtlichen Instanzen zuvor ausgeschöpft wurden. Das Ziel besteht in der Klärung, ob staatliches Handeln oder gerichtliche Urteile gegen das Grundgesetz verstoßen
Die Beschwerde ist möglich, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:
- Beschwerdefähigkeit: Arbeitnehmer, die sich auf Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Schutz der Ehre oder Datenschutz berufen
- Gegenstand: Maßnahmen wie Kündigungen, Abmahnungen oder Überwachung im Betrieb
- Grundrechtsverletzung: Eingriffe in Artikel 5 (Meinungsfreiheit), Artikel 2 in Verbindung mit Artikel 1 (Persönlichkeitsrecht), Artikel 3 oder Artikel 9 (Diskriminierung, Gewerkschaftsrecht)
- Subsidiarität: Vollständige Ausschöpfung des Rechtswegs, zum Beispiel durch Entscheidungen von Arbeits- und Landesarbeitsgerichten
- Formalien: Einreichung innerhalb eines Monats nach Letztentscheidung, begründet und belegt
Typische arbeitsrechtliche Fälle
Ein typischer arbeitsrechtlicher Fall, der sich für eine Verfassungsbeschwerde eignet, ist die Kündigung wegen einer bestimmten Äußerung. Ein Arbeitnehmer wird gekündigt, weil er seine Meinung kundtut, zum Beispiel indem er sich kritisch über Betriebsabläufe äußert. Schriftliche oder mündliche Äußerungen fallen unter Art. 5 GG, wenn sie ein Werturteil enthalten. Das BVerfG prüft dann, ob der Kündigungsgrund das Grundrecht überwiegt.
Auch Diskriminierungen wegen Geschlecht, Herkunft oder Religion sind grundrechtsrelevant. Wird einem Arbeitnehmer die Beförderung verweigert oder eine Abmahnung erteilt, kann Artikel 3 GG verletzt sein. Bei Überwachungsmaßnahmen wie Kameraeinsatz, E-Mail-Kontrollen oder GPS-Tracking greift das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel 1 GG). Ein weiteres Beispiel betrifft gewerkschaftliches Engagement. Werden aktive Arbeitnehmer benachteiligt oder an ihrer Mitwirkung gehindert, ist Artikel 9 Abs. 3 GG einschlägig.
Urteile mit entsprechender Strahlkraft sind zum Beispiel:
- Ugah‑Fall (1 BvR 2727/19, 02.11.2020): Ein Mitarbeiter, der einen Kollegen mit Affenlauten beleidigte, berief sich auf Meinungsfreiheit. Das Gericht nahm die Beschwerde nicht an. Begründung: Menschenwürde (Art. 1) und Diskriminierungsverbot (Art. 3) wiegen in diesem Fall eindeutig schwerer als das Recht auf freie Meinungsäußerung.
- Schreiben eines Betriebsrats (30.05.2018, 1 BvR 1149/17): Ein Betriebsratsmitglied wurde gekündigt, weil mittels eines Rundschreibens Kritik geübt wurde. Das GG-Abwägungsspiel, argumentativ zulässig, führte dennoch zur Annahme der ordentlichen Kündigung.
Chancen und Grenzen von Verfassungsbeschwerden
Verfassungsbeschwerden führen in der Praxis nur selten zum Erfolg, können jedoch individuell und gesamtgesellschaftlich Wirkung zeigen. Im Jahr 2021 lag die Annahmequote bei rund 1,3 Prozent. Das ist historisch gesehen ein Tiefstwert. Dennoch entstehen durch abgelehnte Beschwerden Impulse für die juristische und politische Praxis.
Eine Verfassungsbeschwerde macht verfassungsrechtliche Grenzen von Gesetzen und Urteilen im Arbeitsverhältnis sichtbar. Individuelle Entscheidungen dienen schließlich als Präzedenz oder Diskussionsimpuls. Allerdings korrigiert sie keinen Fehler, wenn Fachgerichte lediglich Gesetze falsch angewendet haben, aber diese verfassungskonform sind. Zudem handelt es sich um keinen kurzfristigen Weg. Zwischen Einreichung und Entscheidung vergehen oft 12 bis 24 Monate oder mehr.
Praxistipps für Arbeitnehmer
Vor Einreichung einer Verfassungsbeschwerde sollten folgende Punkte berücksichtigt werden:
- Präzise formulieren: Konkrete Benennung der verletzten Verfassungsgarantie
- Belege sammeln: Sorgfältige Sammlung von Nachweisen wie Fachurteilen, Schreiben und Zeugenaussagen
- Rechtsweg prüfen: Vollständiger Durchlauf des Fachrechtswegs (Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht), erst danach Verfassungsbeschwerde einlegen
- Realistisch bleiben: Ein Erfolg ist selten, aber das Verfahren dient der Durchsetzung verfassungsmäßiger Standards
Die Einbindung erfahrener Rechtsanwälte verbessert die Argumentationsqualität erheblich. Die Verfassungsbeschwerde ist für Arbeitnehmer ein seltener, aber mächtiger Hebel, wenn Grundrechte verletzt werden und alle Instanzen ausgeschöpft sind. Ob bei Kündigung, Überwachung oder Diskriminierung: Will man sein Personalmanagement digital, innovativ und rechtssicher gestalten, sollte man dieses Instrument kennen.